Peer Instruction
Zusammenfassung
Peer-Instruction (PI) wurde in den 90-er Jahren von Eric Mazur und seinem Team in Harvard als alternatives Modell zu den Einführungsvorlesungen in den Naturwissenschaften entwickelt. Inzwischen sind zahlreiche Vorträge von Mazur auf YouTube zu finden, in denen er über seine Fehlannahmen als junger (und erfolgreicher) Physikdozent referiert. Irgendwann, so gesteht er, sei er zur Ansicht gekommen, dass es keinen Sinn mache, wenn er sein Vorlesungsskript perfekt vorbereite und daraus vorlese, nur damit die Studierenden ihre Mitschriften möglichst wortgetreu verfassen können. Sein Publikum habe nämlich bald die Notizen im Voraus gewünscht. Diesem Wunsch sei er geschmeichelt nachgekommen ‒ worauf bei Semesterende einige Studierende kritisiert hätten, er lese ja nur aus seinen Notizen vor (Mazur 1997). Allmählich sei ihm das Absurde dieses Tuns bewusstgeworden, worauf er Alternativen für die Präsenztermine entwickelte, deren Wirkung er mit seinem Team seither auch beforscht. Mazur plädiert für ein vergleichbares Vorgehen in naturwissenschaftlichen Grundlagenvorlesungen, wie man es aus den Geisteswissenschaften kennt: Kein Diktieren und Abschreiben von Formeln, sondern vorbereitete Inhalte und gezielter Input aufgrund von Wissenslücken.
Komponenten
Vorbereitung
Die Studierenden müssen das angegebene Kapitel aus einem guten Lehrbuch anhand von Leitfragen vorbereiten. Zusätzlich sind allfällige Abschnitte aus dem Skript zu lesen.
Lesekontrolle
Durch ein einleitendes Mini-Quizz mit mehreren Fragen zu den Texten erhält die dozierende Person in der Vorlesung die Übersicht, wie viele der Anwesenden die Texte vorbereitet haben. Das Plenum beantwortet die Fragen per Hand oder inzwischen auch per Klicker-System (LiveVoting). Es werden Fragen auf simplem Wiedererkennungsniveau gestellt, z.B.: «‘Impuls‘ ... a) wird im Text nicht behandelt, b) ist ein Synonym für ‘Kraft‘, c) ist ein Synonym für ‘Beschleunigung‘».
Kurzvortrag
Nach dem ca. fünfminütigen Einstig folgt ein Kurzreferat zu einem von mehreren Schwerpunkten (Modellen, Konzepten, Theorien etc.). Dies dauert nicht länger als eine Viertelstunde.
Verständnistest 1
Nun folgt ein Test im Plenum, der ebenfalls mit Single-Choice-Fragen konzipiert ist, die allerdings auf höherem Niveau das Verständnis für Prozesse und Zusammenhänge prüfen. Mazur nennt das Concept Test. Alle Anwesenden antworten individuell. Sie haben eine Minute Zeit und dürfen nicht miteinander sprechen. Beispiel für eine Frage aus dem Concept Test:
«Ein Blutplättchen bewegt sich mit dem Blutstrom durch eine Arterie, welche durch Ablagerungen verengt ist. Wenn es sich von der verengten zur erweiterten Region bewegt...
- ... nimmt seine Geschwindigkeit zu
- ... bleibt seine Geschwindigkeit gleich
- ... nimmt seine Geschwindigkeit ab»
Partnerdiskussion (peer instruction)
Nun haben alle Anwesenden die Aufgabe, die direkten Nachbarn, die anderer Meinung sind, von der Richtigkeit ihrer Antwort zu überzeugen. Es müssen also für die eigenen Antworten triftige Gründe gefunden werden.
Verständnistest 2
Nach ein bis zwei Minuten müssen alle individuell dieselbe/n Frage/n des Concept Tests noch einmal beantworten. Der Prozentsatz an richtigen Antworten steigt in der Regel dramatisch.
Vertiefung oder nächstes Thema
Bei mehr als 70% richtiger Antworten wird das nächste Thema per Kurzvortrag präsentiert, ansonsten wird nochmal auf die Lücken eingegangen. In jedem Fall muss aber das Gesamtergebnis von der dozierenden Person kommentiert werden.
Erfolgskriterien
Transparenz
Durch die kontinuierlich präsentierten Fragen wird immer wieder das erwartete Anspruchsniveau geklärt.
Klare Arbeitsaufträge
Schon zu Beginn des Semesters werden die wöchentlichen Leseaufträge präsentiert.
Kognitive Aktivierung
Mini-Quiz, Gruppendiskussionen und Concept Tests sind hochgradig aktivierend. Es wird mehrfach pro Termin eine Wissensaktivierung auf Verständnisniveau ausgelöst.
20-Minuten-Regel
Die Kurzvorträge dauern maximal eine Viertelstunde. Damit wird die altbekannte Regel eingehalten, die ein Absinken der Aufmerksamkeit verhindert.
Wechselseitiges Lehren und Lernen
In den Gruppendiskussionen müssen andere von der eigenen Meinung überzeugt werden. Diese wechselseitige Unterweisung verankert besonders das Wissen der Überzeugenden.
Lernen durch Selbsttests
Jedes Teilthema wird durch die Concept Tests vertieft. Durch jede testinduzierte Reaktivierung wird das Wissen noch stärker verankert.
Rückmeldung
Durch die kommentierten Ergebnisse aus den Concept Tests erhalten die Studierenden unmittelbares Feedback auf ihren Wissensstand. Die Erläuterungen im Anschluss an die Tests schöpfen das Lernpotential der Situation optimal aus.